Kunsttherapie

 

Die Kunsttherapie ist eine junge Künstlerische Therapie, die sich von Impulsen aus den USA und Europa aus der Mitte des 20. Jahrhunderts herleitet. In der Kunsttherapie wird hauptsächlich mit Medien der bildenden Kunst gearbeitet. Dazu zählen malerische oder zeichnerische Medien, plastisch-skulpturale Gestaltungen oder auch fotografische Medien. Durch sie können Patienten unter therapeutischer Begleitung innere und äußere Bilder ausdrücken, ihre kreativen Fähigkeiten entwickeln und ihre sinnliche Wahrnehmung ausbilden.

Die kunsttherapeutische Praxis und Theoriebildung ist mit unterschiedlichen Disziplinen wie z. B. der Kunstwissenschaft, der Psychologie und der Pädagogik verbunden. In den letzten Jahrzehnten haben sich daraus verschiedene Formen und Ansätze der Kunsttherapie entwickelt. Diese haben sich in klinischen, pädagogischen oder sozialen Praxisfeldern etabliert. Besondere Bedeutung hat die Kunsttherapie dabei in der psychiatrischen, psychosomatischen und psychosozialen Therapiepraxis gewonnen.


Geschichte

In der Kunstgeschichte gibt es Parallelen zum kunsttherapeutischen Umgang mit Bildern. Lange bevor es die Disziplin „Kunsttherapie“ gab, haben sich bildende Künstler mit inneren Bildern und ihrem Bezug zur Wirklichkeit auseinandergesetzt. Beispiele dafür sind Francisco de Goya (1746–1828), Edvard Munch (1863–1944) oder – in jüngerer Zeit – Frida Kahlo (1907–1954).

Francisco de Goya hat Dämonen und Ungeheuer, die das Innere beherrschen, in einer Lithographie in Gestalt von Fledermäusen, Eulen und Katzen – Tiere der Nacht – in Szene gesetzt. Das Capricho trägt den Titel: „Der Schlaf (Traum) der Vernunft erzeugt (gebiert) Ungeheuer“. Der von Lion Feuchtwanger zitierte Kommentar zu diesem Blatt lautet: „Solange die Vernunft schläft, erzeugt die träumende Phantasie Ungeheuer. Vereinigt mit der Vernunft aber, wird die Phantasie zur Mutter der Künste und all ihrer Wunderwerke“.[1] In einer anderen Übersetzung heißt es: „Die Phantasie, vom Intellekt (Verstand, Vernunft) verlassen, bringt Monstren hervor, vereint mit ihm ist sie die Mutter der Künste“.[2]

 

Mit den beiden Polen Phantasie und Intellekt sind in dem Titel zu dem Capricho zwei wesentliche Bedingungen bildnerischen Gestaltens beschrieben, in deren Spannungsfeld sich die Kunsttherapie als therapeutische Disziplin entwickelt hat: Zwischen inneren und äußeren Bildern, zwischen Produktion, also der schöpferischen Handlung, durch die innere Bilder zum Ausdruck gelangen und Rezeption, der Wahrnehmung und Aneignung des gestalteten Werkes, vermittels derer der Betrachter einen Eindruck von der Realität des Bildes gewinnt.[3]


Entwicklung

 

Die Kunsttherapie ist eine relativ junge therapeutische Disziplin. Erst Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelten sich im englischsprachigen und europäischen Raum unabhängig voneinander die ersten kunsttherapeutischen Ansätze.

 

 

 

Europäischer und deutschsprachiger Raum

Im deutschsprachigen Raum stehen erste kunsttherapeutische Ansätze mit der Entwicklung der anthroposophischen Medizin im Zusammenhang. 1921 gründete Ita Wegman eine nach anthroposophischer Lehre geführte Privatklinik in Arlesheim in der Schweiz und integrierte ab 1927 mit Margarethe Hauschka und Liane Collot d’Herbois[11] künstlerische Therapien wie das bildnerische Gestalten in die klinische Behandlung.[12]

Etwa zur gleichen Zeit gab es erste Impulse zur Integration bildnerischen Gestaltens in die therapeutische Versorgung der Psychiatrie. In den 1920er Jahren fand das bildnerische Gestalten in den Psychiatrien Beachtung durch Veröffentlichungen von Hans Prinzhorn in Deutschland (Bildnerei der Geisteskranken, Berlin 1922[13]) und Walter Morgenthaler in der Schweiz. Der Psychiater Walter Morgenthaler widmete 1921 Adolf Wölfli (1864–1930) das Buch Ein Geisteskranker als Künstler und machte ihn damit bekannt.[14] Adolf Wölfli hat ein umfangreiches Werk hinterlassen und gilt inzwischen als einer der wichtigsten Vertreter bildnerischer Kunst von „Außenseitern“. Das ebnete nicht nur den Weg für die Kunsttherapie in der Psychiatrie, sondern hatte auch nachhaltige Wirkungen auf die bildende Kunst und wurde dort unter den Begriffen Art brut und später Outsider Art bekannt. Einer der ersten, die künstlerisches Arbeiten in die psychiatrische Behandlung einbezogen, war der Psychiater Leo Navratil (1921–2006), der seine Patienten zu künstlerischer Tätigkeit anregte und sie zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken nutzte.[15] Im Jahre 1981 gründete er auf dem Gelände des Gugginger Krankenhaus bei Wien das Haus der Künstler als Zentrum für Kunst- und Psychotherapie.[16]

 

Der unmittelbare, individuelle Ausdruck innerer Bilder, das prozessorientierte Verständnis bildnerischen Schaffens und die damit verbundenen Kunstströmungen bilden den kunsthistorischen Kontext kunsttherapeutischer Praxis und Theoriebildung.

Anwendungsbereiche

 

Die Kunsttherapie wird in klinischen, pädagogischen, heilpädagogischen oder soziokulturellen Bereichen ausgeübt, also z. B. in Krankenhäusern, Schulen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Museen, Gefängnissen, Altersheimen, in der Beratung, im Teamcoaching, in der Supervision, in der Erwachsenenbildung und in freier beratender und therapeutischer Praxis.

Die Kunsttherapie ist in Europa unterschiedlich in der Gesundheitsversorgung verankert. In England ist die Kunsttherapie bereits zu einem festen Bestandteil in klinischen Einrichtungen geworden. Im Jahr 1990 wurde bei einer Umfrage (Survey of Conditions of Service of Registered Art Therapists) ermittelt, dass 54 % von 64,4 % der befragten Kunsttherapeuten im Gesundheitsbereich tätig sind, 15 % im Sozialbereich und 7 % im Erziehungsbereich. In der Konsequenz ist seit 1997 der Beruf „Kunsttherapeut“ in England durch das Gesetz „Act of Professions Supplementary to Medicine“ gesetzlich geregelt und staatlich registriert worden.[21]

In Deutschland ist die Kunsttherapie nicht in dieser Weise gesetzlich abgesichert. Allerdings ist hier die Kunsttherapie in den letzten Jahren in klinisch-medizinischen Behandlungskonzepten zu einem Bestandteil des psycho-sozialen Angebots im stationären und ambulanten, sowie im präventiven, akutmedizinischen (z. B. Krankheitsbewältigung- und -verarbeitung) und rehabilitativen Bereich geworden. Sie dient hier der Krankheitsvorsorge, der akuten Krankheitsbewältigung wie auch der Rehabilitation. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich gegenwärtig von der Psychiatrie[22] über die Psychosomatik[23], Onkologie/Hämatologie, (Sozial-)Pädiatrie bis hin zur Neurologie und Geriatrie. Hier liegen bereits ausgearbeitete Leitlinien vor, die zur Integration der Kunsttherapie in das Fallpauschalensystem (Diagnosis Related Groups, Diagnosebezogene Fallgruppen, DRG) mit einer eigenen Einzelziffer sowie als Element einer „integrierten psychosozialen Komplexziffer“ geführt haben.[24]

Neben der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in klinischen, aber vor allem auch in pädagogischen oder anderen sozialen Zusammenhängen[16], ist die kunsttherapeutische Arbeit mit alten Menschen[25] und in der klinischen und ambulanten Praxis mit Krebspatienten[26] etabliert. So spielen in der psychoonkologischen Behandlung die psychosozialen Belastungen sowie Coping, also die Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen, eine zentrale Rolle.[27] Dabei kommt es zu einer engen Verbindung zwischen somatischer Therapieführung und subjektivem psychischen Befinden bei Krebspatienten. In diesem Zusammenhang sind kunsttherapeutische Therapieverfahren mehr und mehr in der Krebstherapie integriert worden.[28] Über den therapeutischen Ansatz der Kunsttherapie hinaus spielt zunehmend Salutogenese eine wichtige Rolle. Als ein kognitiv und emotiv bildendes Medium nimmt die Kunsttherapie hier ressourcenaktivierend Einfluss auf die Stärkung der Resilienz (= seelische-geistige Widerstandskraft). In der Gesundheitskultur leistet sie somit einen wichtigen Beitrag zur persönlichen, sozialen und ökonomischen Gesundheit. Hier tut sich ein neues kunsttherapeutisches Arbeitsfeld auf, z. B. in der betrieblichen Gesundheitsförderung.

In zahlreichen klinischen Anwendungsbereichen der Kunsttherapie liegen Einzelfallstudien vor, allerdings ohne empirische Befunde zur Wirksamkeit der Kunsttherapie, da sich künstlerisch-kreative Prozesse mit den Mitteln der evidenzbasierten Medizin oft nur schwer abbilden lassen. Im Hinblick auf klinisch-medizinische Einsatzfelder der Künstlerischen Therapien gibt es aber eine Reihe von Studien mit Positivbefunden in der Behandlung akuter und chronischer Schmerzleiden (Fibromyalgie)[29] oder bei Kindern mit Leukämie.[30] Andere Wirksamkeitsstudien zeigen eine signifikante Verringerung der körperlichen Symptome und psychischen Auffälligkeiten in der Psychosomatik.[31] Eine Untersuchung der klinischen Ergebnisse und der Kosten anthroposophischer Therapien unter Einbeziehung der „Anthroposophischen Kunsttherapie“ bei Patienten mit chronischen Erkrankungen hat die langfristige Verbesserung chronischer Krankheitsbeschwerden und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei gleichzeitiger Senkung der Behandlungskosten nachgewiesen.[32] Eine evidenzbasierte, empirisch-quantitative Wirksamkeitsanalyse im klinischen Bereich bei Patienten in der Alkoholabhängigkeitsbehandlung zeigt signifikante Ergebnisse und Effektstärken durch den positiven Einfluss multimedialer, kunsttherapeutischer Wirkungsprozesse – unter anderem auf die Sinnerfüllung und die Selbstwirksamkeitserwartung. Das Entwicklungsgeschehen der Resilienz trägt dazu bei, die grundlegenden Fähigkeiten, Krisen mit Hilfe von eigenen Ressourcen zu bewältigen. Die Einstellung von Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu einem zielgerichteten, vorausschauenden selbständigen Handeln und Lösen von unterschiedlichen Aufgabenstellungen wird durch kunsttherapeutische Interventionen gefördert.[33]


Grundlagen

Kunsttherapeutische Triade

Die Kunsttherapie unterscheidet sich von anderen Therapieformen dadurch, dass zu der Beziehung Patient – Therapeut ein Drittes hinzutritt: das künstlerische Medium. Daraus ergibt sich zwischen den Beziehungspunkten Klient – Therapeut – Medium (Werk) ein Beziehungsdreieck, das in der kunsttherapeutischen Literatur als kunsttherapeutische Triade bezeichnet wird.[34] Damit spielen für die kunsttherapeutische Praxis drei Ebenen und ihre Beziehung zueinander eine Rolle: das künstlerische Gestalten am Werk, die Beziehung zwischen Therapeut und Patient sowie die Betrachtung des Werkes und seine Wirkung.[35] Hierdurch ergibt sich eine komplexe Anzahl an Interaktionskonstellationen. Das Werk selbst erhält eine mehrdimensionale Bedeutung sowie die Funktion eines kommunikativen Dritten, das durch den Klienten selbst geschaffen wird und real wahrnehmbar ist.[36]

Ihre wissenschaftliche oder geisteswissenschaftliche Begründung findet die kunsttherapeutische Praxis in unterschiedlichen Disziplinen. Sie kann auf den Grundlagen der Psychoneurologie, der Kognitionswissenschaft, der Phänomenologie, der Psychotherapieforschung, der Synergetik, der Psychoanalyse, der analytischen Psychologie, der humanistischen Psychologie, der kognitiven Verhaltenstherapie oder der systemischen Therapie erfolgen oder auf anthroposophischen Annahmen beruhen.

Einige tiefenpsychologische Ansätze der Therapie, die mit Mitteln der bildenden Kunst arbeiten, verwenden an der Stelle des Begriffs Kunsttherapie den Begriff Maltherapie oder Gestaltungstherapie. Der Begriff Maltherapie wird sowohl für tiefenpsychologische als auch für anthroposophische Ansätze der Kunsttherapie verwandt, die sich ausschließlich auf die Malerei beziehen. Bei der Gestaltungstherapie handelt es sich um einen tiefenpsychologischen Ansatz der kunsttherapeutischen Praxis, in der zwar mit künstlerischen Medien gearbeitet wird, Gestaltungen aus der Therapie aber nicht als Kunst bezeichnet werden. Dabei ist die Gestaltungstherapie grundsätzlich zu unterscheiden von der Gestalttherapie, die ein besonderes Psychotherapieverfahren ist, das den Zusammenhang von Körper, Geist und Seele als ganze Gestalt auffasst.


Auszug/ Textquelle aus wikipedia.de

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